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Über Erdbeeren und den 17.Juni
Wenn das Kalb vernachlässigt ist
Drängt es zu jeder schmeichelnden Hand, auch
Der Hand des Metzgers (Brecht)
Was hat der 17. Juni mit Erdbeeren zu tun - außer dass diese Früchte in eben diesem lieblichen Monat reifen? Beginnen wir mit dem 17. Juni. Über ihn berichtet Manfred Wekwerth. Das heißt: eigentlich berichtet er darüber, wie hierzulande Fernsehen gemacht wird wenn es darüber berichtet, dass die Arbeiter ihr Leben selber machen: " Ein Redakteur der Sendung Aspekte vom ZDF kam extra nach Halle, wo ich meine Arbeit an Marlowes "Faustus" unterbrach, um zwei Stunden seine Fragen zum 17 Juni möglichst präzise zu beantworten. Dass er meine Antworten bis auf einen Satz zusammenstrich, verstehe ich. Er ist schließlich Redakteur. Dass er in seinem Beitrag zum 17. Juni überhaupt nur das brachte, was die Politik verkraften kann, verstehe ich auch, da die Politik heute mehr Unzufriedenheitspotential stiftet, als ich es 1953 vor dem 17. Juni kennengelernt habe, heute allerdings unterstützt durch Arbeitslosigkeit. Verwundert war ich nach dem langen Gespräch dennoch, dass der Redakteur uneingeschränkt die These übernahm, die Hubertus Knabe in seinem Buch "Der Aufstand" aufgestellt hatte. Knabe, ein westdeutscher Aufklärer der DDR-Vergangenheit, sagt, die Intellektuellen hätten "das Volk" feige im Stich gelassen, wo sie doch als Kommunisten immer auf Seiten des Volkes hätten sein müssen. Denkt man das zu Ende, hätten diese Kommunisten, die ja auch zumeist Emigranten gewesen waren, gar nicht emigrieren dürfen, da "das Volk" zu über 90 Prozent für Hitler stimmte. Bertolt Brecht, vor dessen Denkmal am Berliner Ensemble sich Knabe fürs ZDF filmen ließ, war vor und nach dem 16. und 17. Juni immer für den Streik der Arbeiter, da sie ihre Forderungen leider, wie er meinte, nicht anders durchsetzen konnten. Aber schon am 18. Juni, nachmittags 17 Uhr, konnte ich Brecht erleben, wie er auf der Baustelle in der Stalinallee zusammen mit dem Architekten Hermann Henselmann und den Bauarbeitern diskutierte und ihnen erklärte, warum er für ihren Streik und gegen das Ausnutzen des Streiks durch Leute war, die "die DDR nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen ihrer Vorzüge" tatkräftig angriffen. Übrigens marschierten die Bauarbeiter der Stalinallee und auch die Henningsdorfer Arbeiter mit roten Fahnen an der Spitze und sangen sogar die Internationale (was ich in dem ZDF-Film "Der Aufstand" nicht entdecken konnte). Willy Brandt notierte 1955 in seinem Aufsatz "Arbeiter und Nation", dass die Arbeiter offenbar keine "restaurativen" Forderungen stellten. Und auch ich erlebte vor dem belagerten Gebäude des SED-Zentralkomitees, dass die Arbeiter, mit vielen roten Fahnen in den Händen, nicht Adenauers Kapitalismus wollten, sondern einen "besseren Sozialismus" und dem "Spitzbart" lautstark vorwarfen, ein "schlechter Kommunist" zu sein." (in: Ossietzky 12/2003)
54 Jahre später nach diesem 17. Juni, - der Sommer wurde allgemein als ungewöhnlich schön beschrieben und so mancher glaubte schon, wenn die globale Klimaerwärmung nichts Schlimmeres bereithielte als solch früchtereichen Sommer, dann solle sie nur kommen -, 54 Jahre später also trug sich nach Zeitungsberichten in dem Ort Oberndorf im schwäbischen Donau-Ries Folgendes zu:
Mit dem, nach Zeitungsberichten, "tollen" Angebot von fünf Euro pro Stunde für Erdbeer-Pflücken hatte ein "Arbeitsvermitter" mehr als hundert Rumänen nach Oberdorf gelockt. Fünf Euro pro Stunde für Erdbeer-Pflücken. Dass sie tagtäglich zwölf oder 13 Stunden auf dem Feld würden arbeiten müssen und noch dazu nicht mal ein Drittel des versprochenen Lohnes erhalten würden, hatte ihnen niemand gesagt. Auch nicht, dass sie hungrig bei benachbarten Familien um Essen würden bitten müssen, weil erstmal kein einziger Euro ausbezahlt wurde. Wenige Wochen vorher hatte der Erdbeerfeld-Besitzer bei der Kommune Oberdorf angefragt, ob er "ein paar Container" aufstellen könne für seine Erntehelfer. Die Gemeinde hatte nichts einzuwenden gehabt.
Container wurden aufgestellt, 9 ganze Quadratmeter für je 4 Personen, ausgestattet mit Betten, Stühlen und hie und da einem Tisch. Die RuÂmänen kamen an, wurden auf die Hütten verteilt.
"Wasser gibt es nur aus der Dusche", so Kreisrätin Ach. Zudem habe es bis zum Einschreiten des Gesundheitsamtes keine Kochmöglichkeiten gegeben, keine Kühlschränke und keinen Platz für den Müll. "Das stimmt nicht", stellte der Plantagenbesitzer richtig. Er habe die Container mit 18 Kochplatten ausgestattet, diese seien binnen weniger Tage verschwunden. Nach dem besorgte Bürger die Polizei benachrichtig hatten, wurden die rumänischen Arbeiter vor ihrer Abschiebung nun einzeln vernommen. Ihre Aussagen glichen sich: Sie wurden für fünf Euro pro Stunde ins Land gelockt, bekamen aber nur 1,20 und 1,80 Euro pro gepflückte Kiste Erdbeeren. Und es kam noch schlimmer: Sie pflücken nur die Reste, das, was übriggeblieben ist, wenn die polnischen Erntehelfer das Feld durchkämmt haben. An guten Tagen kamen sie auf sieben Kisten. Bislang bekamen sie für die Arbeit 20 Euro pro Woche, mussten davon aber noch die Unterkunft bezahlen.
Am vergangenen Samstag dann streikten die Rumänen. Denn sie hatten immer noch keinen Cent gesehen für ihre Arbeit, die um fünf in der Früh begann und aufhörte wenn es dunkel wird. Sie stiegen nicht in den Bus ein, der sie sonst immer aufs Feld bringt. Die Polizei wurde von einem Anwohner verständigt, schaute nach dem Rechten. "Dann soll, so haben es Beobachter mir erzählt, der Besitzer des Erdbeerfeldes aufgetaucht sein und ihnen Geld gegeben haben". Wie viel das gewesen sei, ist nicht klar. Einige sprachen von 30, andere von 40 oder gar 70 Euro.
Der Zoll schaltete die Staatsanwaltschaft ein, ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet. Im Visier der Beamten stand der Erdbeerfeld-Betreiber aus dem Raum Harburg, ein Polizist, der sich schon vor dem Vorfall für längere Zeit hatte beurlauben lassen - Erziehungsurlaub.
Wer unter den Nachgeborenen wollte behaupten, der zweite Weltkrieg habe sich für uns nicht gelohnt? Und die Polen und Rumänen seien nicht die wirklichen Verlierer gewesen?
Vom 17. Juni 1953 an hat es dann noch 36 Jahre gedauert, bis die DDR annektiert wurde. Und dann noch ein paar Jahre länger, bis die Arbeiter und deren Söhne, die im Juni 1953 für einen besseren Sozialismus demonstrieren und streikten, und die polnischen und rumänischen Arbeiter und ihre Söhne und Töchter und Frauen nun auf den Erdbeerfeldern des schwäbischen Donau-Ries in Verhältnissen leben und arbeiten, gegen die die Sklaverei ein Erholungsheim war.
Das ist es was Erdbeeren mit dem 17. Juni zu tun haben.
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