Reparationen oder der Fall Distomo ( Griechenland )
ÄRGER MIT DEM ERBE
Die Bundesrepublik Deutschland braucht Geld. Der letzte Angriffskrieg auf Jugoslawien ist noch nicht abbezahlt, die Auf- und Umrüstung der Bundeswehr für neue Interventionen muss finanziert werden und wie man weiß, begehrt so mancher Industriezweig im "Standort Deutschland" tatkräftige staatliche Unterstützung.
Doch es scheint, als nahe der Großmacht in Europa finanzielles Unheil. Trotz aller Bemühungen, die lästige Seite des faschistischen Erbes loszuwerden, will es einfach nicht klappen. Hatte man doch Anfang Juli gehofft, mit Verabschiedung dem Schlussstrichgesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" alle aus den Nazi-Verbrechen erwachsenen Forderungen liquidieren zu können. Aber das Geld für die "Entschädigung" ehemaliger Zwangsarbeiter ist (immer) noch nicht zusammen, das "statement of interest" der USA ist nicht einmal signiert, da kommen Neuigkeiten aus Griechenland. In diesem Land kamen während der deutschen Besatzungszeit von 1941 bis 1944 mehr als 130.000 Menschen zu Tode.
Mit Urteil vom 5. Mai 2000 sprach der Areopag, das höchste griechische Gericht, dreihundert Klägern, Angehörigen des Massakers von Distomo, die Zahlung von 9 Mrd. Drachmen (ca. 55 Mio. DM) Schadensersatz durch die Bundesrepublik zu. Dazu kommen Zinsen in Millionenhöhe. Und das - so der Rechtsanwalt und ehemalige Präfekt der Provinz Böotien, lannis Stamoulis, - ist erst der Anfang.
Der Anwalt könnte Recht behalten. In Griechenland sind noch über 10.000 Klagen anhängig und auch in anderen vom faschistischen Deutschland überfallenen Ländern werden Klagemöglichkeiten geprüft. Nazi-Deutschland hat in zwölf Jahren mehr Unheil auf der Welt angerichtet, als es in 55 Jahren hätte wieder gutmachen können. Der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin fehlt(e) zur Wiedergutmachung schon der Wille.
I.
Das Massaker von Distomo
Distomo, ein kleiner Ort nahe Delphi, liegt in der griechischen Provinz Böotien. Am 10. Juni 1944 - es war auch der Tag des Massakers von Oradour sur Glane und auf den Tag genau 1 Jahr nach Lidice - wurde fast die Hälfte der damals 500 Einwohner Distomos - 218 Männer, Frauen und Kinder - von den Angehörigen der 2. Kompanie des SS-Polizeigrenadier-Regiments 7 ermordet.
Eine strafrechtliche Verfolgung der deutschen Mörder erfolgte nie. Ein Richter des Landgerichts Konstanz hatte es 1953 immerhin versucht und zur Zeugenvernehmung nach Griechenland reisen wollen. Das Auswärtige Amt intervenierte gegen dieses Vorhaben erfolgreich bei dem Justizministerium Baden-Württemberg.
Die Reparationsansprüche Griechenlands
Im Abkommen von Jalta1 wurde festgelegt, dass Deutschland aus dem Nationalvermögen für die Verluste bezahlen muss, die es im Verlaufe des Krieges den verbündeten Nationen zufügte. In Bezugnahme hierauf legte der Beschluss der Potsdamer Dreimächtekonferenz vom 02.08.1945 fest, dass die Reparationsansprüche
der UdSSR durch Entnahmen aus der sowjetisch besetzten Zone sowie durch deutsche Auslandsguthaben,
die USA, Großbritannien und die übrigen zu Reparationsforderungen berechtigten Staaten aus den westlichen Zonen und den entsprechenden deutschen Auslandsguthaben befriedigt werden sollten.
Die 19 hiernach berechtigten westlichen Länder schlossen am 14.01.1946 das Pariser Reparationsabkommen2, in dessen Folge3 die gesamten von Deutschland zu zahlenden Reparationsleistungen prozentual auf die Vertragsstaaten aufgeteilt wurden. Die griechischen Schadensersatzansprüche wurden auf 7,5 Mrd. USD beziffert. Dazu kamen weitere Forderungen in Höhe von 7,5 Mrd. RM, die die deutsche Besatzung 1942 als "Zwangsanleihe" von der griechischen Zentralbank erhalten hatte.
Keiner der Ansprüche ist bis heute beglichen.
Zwar zahlte die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1961 im Rahmen des mit Griechenland geschlossenen Vertrages über "Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen sind" 115 Mio. DM. Entgegen der gezielten Falschinformation der Bundesregierung über ein angebliches "Global-Entschädigungsabkommen" enthält Artikel 3 des Vertrages den Vorbehalt, dass Forderungen griechischer Bürger von den vertraglichen Regelungen nicht betroffen sind. In dem begleitenden Briefwechsel weist die griechische Regierung darauf hin, dass die 115 Mio. DM nicht Reparationszahlungen sind, die nach dem Londoner Schuldenabkommen4 "bis zu einer endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt" waren. Der Bundesregierung ist dies und auch die Tatsache bekannt, dass die Summe keine Schadensersatzzahlungen für den gemeinen, völkerrechtswidrigen Mord deutscher SS-Einheiten war. Aus Berlin aber ist zu hören, mehr werde nicht bezahlt. Es bestehe zwar eine "moralische Verantwortung", aber neue Entschädigungen, die dann auch aus anderen Regionen Ost- und Südosteuropas gefordert würden, werde es nicht geben.5
Die Wiedergutmachungsansprüche der Hinterbliebenen und Nachkommen
Die Hinterbliebenen von Distomo haben von dem 1961 gezahlten Geld nichts gesehen. Dies deshalb, weil das Massaker vom 10. Juni 1944 nicht als NS-Unrecht, sondern als - wenn auch verbrecherische - Kriegshandlung angesehen wurde. Für solche Schäden sind Reparationen zu zahlen, die aber dem Moratorium des Londoner Schuldenabkommens von 1953 unterfielen. Zwei Jahre vor Abschluss dieses Abkommens verpflichtete sich die Bundsrepublik in Art. 3 des AHK-Gesetzes Nr. 63 vom 31.08.1951: "Die Bundesrepublik wird in Zukunft keine Einwendungen gegen die Maßnahmen erheben, die gegen das deutsche Auslands- oder sonstige Vermögen durchgeführt worden sind und werden sollen, das beschlagnahmt worden ist für Zwecke der Reparation..."
1995 förderte die griechische Regierung unter Hinweis auf die Verhandlungen aus dem Jahre 1961 und den 2+4-Vertrag - der reparationsrechtlich einem Friedensvertrag gleichzusetzen sei - von der Bundesrepublik Reparationszahlungen. Die Antwort aus Bonn lautete, 50 Jahre nach Kriegsende habe "die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren"6.
300 Angehörige der Ermordeten von Distomo haben nicht weiter gewartet. Mit einer Sammelklage haben sie Entschädigung vor dem Landgericht (Provinzgericht) Levadia gefordert und gewonnen. Am 30.10.1997 verurteilte das LG Levadia die Bundesrepublik Deutschland in Abwesenheit zur Zahlung von 9 Mrd. Drachmen (ca. 55 Mio. DM) Schadensersatz an die Familien der Opfer. Die Bundesrepublik hatte die Zuständigkeit des griechischen Gerichts stets bestritten, hatte Anfragen des Gerichts unbeantwortet zurück geschickt und war nicht zum Gerichtstermin erschienen. Sie beruft sich auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität, das Urteil von Levadia sei nicht vollstreckbar. Vorsorglich jedoch legte die Bundesrepublik gegen das Urteil Sprungrevision bei dem höchsten griechischen Gericht, dem Areopag, ein.
Mit Urteil vom 05. Mai 2000 hat der Areopag die Revision verworfen und damit das Urteil des Landgerichts Levadia letztinstanzlich bestätigt: Griechische Bürger können vor griechischen Gerichten Entschädigungsansprüche für Verbrechen der deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs geltend machen. Durch die von der Bundesrepublik Deutschland auch für diese Verbrechen geforderte Staatenimmunität seien "nicht die verbrecherischen Handlungen der Organe der Besatzungsmacht gedeckt, die unter Missbrauch ihrer souveränen Gewalt als Vergeltungsmassnahmen für Sabotageakte von Widerstandsgruppen zu Lasten ... völlig unbeteiligter und unschuldiger Bürger begangen werden..."7
Das Urteil des Areopag erlaubt den Verwandten der Ermordeten, deutsches Staatseigentum im Wert von 9 Mrd. Drachmen zu beschlagnahmen.
Anfang Juli leitet Rechtsanwalt Stamoulis das Beschlagnahmeverfahren gegen das Goethe-Institut, die Deutsche Archäologische Schule, die Deutschen Schulen in Athen und Thessaloniki ein. Berlin schäumt. Außenminister Fischer lässt mit Belastungen der Beziehungen zu Griechenland drohen. Behauptet wird, das Vorgehen Griechenlands sei ein Verstoß gegen Völkerrecht und griechisches Recht. Zur Vollstreckung des Urteils des Areopag bedürfe es der Zustimmung des Griechischen Justizministeriums. Das Urteil setze sich über "universelle Grundsätze der Staatenimmunität" hinweg, ein griechisches Gericht könne die Bundesrepublik Deutschland nicht verurteilen. Außerdem sei 1961 bereits gezahlt worden. Damit seien alle Ansprüche erledigt.8
Die Bundesrepublik hat mit einem Eilantrag beim Landgericht Athen die vorläufige Aussetzung weiterer Vollstreckungshandlungen (Deutsches Archäologisches Institut/ Deutsche Schule Athen und Thessaloniki) erreicht. Am 1. September 2000 soll über die Anträge der Bundesrepublik auf Einstellung der Zwangsvollstreckung entschieden werden. Der Termin für die öffentliche Versteigerung der Besitztümer der Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des faschistischen "Deutschen Reiches" ist vorläufig auf den 20. September bestimmt.9
Die griechische Regierung hat sich unter Hinweis auf die "guten Beziehungen" zur Bundesrepublik auf die deutsche Seite geschlagen und verweigert den Vollstreckungshandlungen ihrer Justiz die - nach Ansicht von Rechtsanwalt Stamoulis nicht erforderliche - Zustimmung des Ministeriums.
II.
Keine Reparationsansprüche der griechischen Regierung gegen die Bundesrepublik Deutschland
Bezeichnenderweise ist es nicht der griechische Staat, der die seit 1995 geforderten Reparationsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland durchsetzen will. Griechenland hat verstanden: Für die im Jahr 2001 geplante Aufnahme Griechenlands in die "Euro-Zone"10 ist es auf die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland angewiesen. Das Interesse, die "vertrauensvolle und fruchtbare Zusammenarbeit" zu gefährden, ist gering. Andererseits steht die griechische Regierung unter erheblichem innenpolitischen Druck.
Hätte Griechenland Reparationsforderungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland vergeblich geltend gemacht, hätte es ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof(IGH) gegeben und zur Vollstreckung hätte es vermutlich einer Maßnahme des Sicherheitsrates bedurft. Ein Weg, den - wie der Richter des IGH Ranjeva schreibt - selten ein Staat gegangen ist und der nie zum Erfolg geführt hat.11
Die Vollstreckung des Urteils des Areopag ist die Durchsetzung privater Forderungen
Mit massivem politischen Druck versucht die Bundesrepublik Deutschland der griechischen Regierung und der Justiz dieses Landes ihre interessengeleitete Vorstellung von "Recht" aufzudrängen. Dabei geht es um ein Verfahren, in das sich die griechische Regierung gar nicht einmischen darf. Es handelt sich um private Forderungen, die durchaus nicht nur auf griechischem Territorium vollstreckt werden könnten. Denkbar wäre auch die Pfändung der Geldforderungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der EU.12
Der Anspruch der Bürger von Distomo besteht seit dem 10. Juni 1944 und ist mit Urteil des Areopag vom 5. Mai 2000 rechtskräftig und vollstreckbar festgestellt worden. Weder das Argument der Staatenimmunität noch die Einrede der Verjährung kann nach dem rechtlichen Sachverhalt die Vollstreckung aufhalten. Allein das Verlangen der Staatenimmunität für Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen kennzeichnet die Geisteslage der gegenwärtigen Bundesregierung. Rechtlich gibt es solche Immunität aus den vorn Areopag genannten Gründen13 nicht14.
Eine Verjährung von Kriegsverbrechen findet nach - noch - geltendem Völkerrecht nicht statt.
Die Vollstreckung ausländischer Urteile ist in dem "Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen"15 (EuGVÜ)16 geregelt und gilt im "Fall Distomo". Art 5 Nr. 3 EuGVÜ begründet den Gerichtsstand des Ortes der unerlaubten Handlung (Kriegsverbrechen) auch dann, wenn der Schädiger seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat hat.17
Gemäß Art. 26 EuGVÜ werden die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Vertragsstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Das Urteil des Areopag wurde der Bundesregierung offiziell zugestellt. Am 26. Juni 2000 wurde eine Vollstreckungsankündigung gegen öffentlichen Immobilienbesitz der Bundesrepublik Deutschland in Griechenland bei dem zuständigen Landgericht Berlin abgegeben. Alle für die Vollstreckung notwendigen Formalitäten sind damit korrekt eingehalten worden.
Nach Art. 27 EUGVÜ könnte die Anerkennung der Entscheidung des Areopag verweigert werden, wenn diese dem "ordre public" der Bundesrepublik Deutschland widerspräche. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes18 ist dies anzunehmen, wenn die ausländische Entscheidung Haftungsfolgen enthalten, die "schlechthin mit den deutschen Vorstellungen unvereinbar sind".
Es bleibt zu hoffen, dass nach der Vorgabe des Areopag sich die "deutschen Vorstellungen" auch bei dem Athener Landgericht nicht durchsetzen.
Geschrieben August 2000
Text: Gabriele Heinecke
1Abkommen von Jalta vom 11.02.1945, Dokumente und Berichte des Europaarchivs, Bd.6, S.57. Oberursel 1948
2UN Treaty Series No.56,65, Auszug in BT-Drucksache Nr.3389, S.15ff; Graupner, Interaliierte Reparationsabkommen (Sonderdruck Nr.2 der Studiengesellschaft für privatrechtliche Auslandsinteressen)
3Zur Durchführung der Verteilung wurde die Interaliierte Reparations-Agentur(IARA) in Brüssel geschaffen, die am 21.11.1947 "Rules of Accounting" (Abrechnungsrichtlinien) erließ.
4Abkommen über deutsche Auslandsschulden, BGBl. 1953 II. 331; das Ausführungsgesetz vom 24.08.1953: BGBl. I,1003.
5Vgl. Frankfurter Rundschau v. 12.07.2000
6Zit. Nach: http://home.t-online.de/home/Dieter.Begemann/seite01.htm ("Das Massaker von Distomo"); vgl. Auch Rolf Surmann in KONKRET 7/2000 ("Ein Schurkenstaat") und taz v. 13.07.2000 ("Vollstreckung gegen Deutschland")
7Zit. Nach Dieter.Begemann, a.a.O.
8Vgl. Dazu Berichterstattung in der taz v. 13.07.2000 "Vollstreckung gegen Deutschland" und Junge Welt v. 13.07.2000 "Fischer droht Athen".
9Zit. Nach: http://home.t-online.de/home/Dieter.Begemann/seite01.htm ("Das Massaker von Distomo")
10"Euro-Zone" - Währungsraum des Euro
11Richter des Internationalen Gerichtshofes Raymond Ranjeva in: Increasing the Effectiveness of the Internaional Court of Justice, 1998, S. 328
12So der Vorschlag des Völkerrechtlers Prof. Norman Paech in Junge Welt v. 15.07.2000 ("wie immun ist die deutsche Regierung?")
13Durch die von der Bundesrepublik Deutschland auch für diese Verbrechen geforderte Staatenimmunität seien "nicht die verbrecherischen Handlungen der Organe der Besatzungsmacht gedeckt, die unter Mißbrauch ihrer souveränen Gewalt als Vergeltungsmassnahmen für Sabotageakte von Widerstandsgruppen zu Lasten ... völlig unbeteiligter und unschuldiger Bürger begangen werden..."
14Allerdings gibt es unter Völkerrechtlern aus Anlass des Kosovo-Krieges und dem Auslieferungsverfahren gegen Pinochet Diskussionen über eine eingeschränkt bestehende Immunität.
15In: Zöller, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21. Auflage, 1999, Anhang 1A
16Beitritt Griechenlands durch Übereinkommen v. 25.10.1982 (BGBl. 1988 II, 454); Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz v. 05.05.1988 (BGBl. 1988 II,453)
17Für juristische Personen und selbstverständlich für Staaten gilt die Vorschrift entsprechend.
18BGH NJW 1984, 568 (570)